Der Scrabbler geht um!
Kassibert am von J. Isaksen. Lesezeit: ungefähr 5 Minuten. Kommentar mailen
Von J. Isaksen
URBAN SPELLING GAMES WARS Der durch die Straßen geisternde DubliNerd entwickelt noch am ersten Tag ein Gefühl fürs Detail – obwohl er die Stadt im Ganzen noch gar nicht überblickt. Und siehe da: The City of Words wird vom Buchstabenklau heimgesucht! Nennen wir ihn The Scribbling Scrabbler … den wortentführenden Klau also, nicht den wortführenden, den -klaubenden Clown.Teil II
AT THE GARDEN OF REMEMBRANCE Sich erinnern, sich veräußern, sich am Ende gar in aller Ausdrücklichkeit äußern. (By the way: Die meisten Denkmäler “that are dedicated to the memory of all those who gave their lives in the cause of Irish Freedom” kennen vor Ort, ganz nah dran am inneren Kreis des Gedenkens, kein Englisch auf den Tafeln der Erläuterung, hier allein ein “Ba é Dáithí Hanly a dhear an gairdín álainn seo i lár na cathrach atá tiomnaithe i gcuimhne orthu sin go léir a fuair bás ar son Saoirse na hÉireann”. Die englischsprachige Bezeichnung bleibt am Eingang hinter Büschen zurück. Obwohl – Moment! – da hinten steht doch etwas auf Englisch, dem usurpatorischen Idiom: “Please keep off the grass”. Self:ie
II
Wortspiele – Freitag, 29. Mai
Es gibt altehrwürdige Sprachen, die kommen ohne ein schriftliches Aufführen der Vokale aus, vielleicht weil das allzu Explizite der selbstlautenden Töne durchaus etwas Anstößiges hat: Ah! Oh! Eh! Ih! – Das Hiberno-English gehört nicht dazu. Das ausdrückliche Wiedergeben der Zwischentöne nimmt jede Zweideutigkeit, gibt hingegen reichlich Unzweideutigkeit: Parental advisory – explicit lyrics! Achtung Leute, allzu Ausdrückliches, nicht gerade lyrisch!
Hier in Dublin ist die Sprache nicht so sehr in das Korsett von Contenance und Korrektheit geschnürt, wie es in Groß- und Größer-Anglophonien der Fall ist, das glaube ich schon bemerkt zu haben. Oder ist es gerade die Abwehr des ungebrochen Strikten, die hier und da so deftig aufbegehrt? Die Dubliner – jedenfalls die, die in den Werken ihrer literarischen Biographen auftreten – sind für ihr plain talking bekannt. James Joyce legt seiner Kirchgängerin Molly Bloom für das Handlungsjahr 1904 “sh*t” 1, “c*ck”, “c*me”, “s*ck”, “sp*nk”, “b*tch”, “like the d*gs”, “sl*t”, “f*ck” und – am verruchtesten noch – ein beständig gestöhntes “oh my g*d!” in den Mund, natürlich ganz ohne die heute bisweilen übliche, bigotte Auslassung der Vokale – lächerlich, weil reine Augenwischerei – aber auch hier bei mir vorgenommen, um diese Seite nicht per Automatismus auf dem Schund-Index des Netzes landen zu lassen …
Der Jesuitenschüler James Augustine Aloysius Joyce, so heißt es mitunter, habe mit Ulysses das obszönste Buch des 20. Jahrhunderts verfasst, wobei ich mich frage, ob er nicht doch ein Blatt vor den Mund genommen hat. Im Wortsinn. Nicht auktorial wird eja- oder artikuliert, nicht die Figur Molly Bloom drückt es aus, das “komische Stück Fleisch”, nein, sie bringt es allein denkend (nicht) zur Rede … vom Verfasser der Figur schreibend zugeschrieben im furiosen inneren Monolog zum Abschluss des Buches, in einem Wortschwall ohne Punkt und Komma. Ist das der joycean-jesuitische Dreh: sich ohne Tabu seinen Teil denken und per kunstvoller Vermittlung zu Gehör bringen, zur Wirksamkeit bringen, während im Puritanischen schon die sich andeutende Bewußtseinswerdung eines verbotenen Wortes eine tiefe Verteufelung und Abwehr erfährt? Ganz so einfach ist es wohl nicht. Die freie Sprache in den modernen Werken trifft auf eine strikte und ausdauernde Zensurgeschichte im katholischen Irland. Erst 2010 lief der letzte entsprechende Bücher-Bann aus. Seinerzeit fielen selbst Thomas Manns Krull, Salingers Catcher, Hamsuns Mysterien und gar Platons Gastmahl unter ein Verbot. Der Ulysses, zunächst in Frankreich verlegt, war zu Joyces Lebzeiten übrigens nie von einem Import-Stopp betroffen – weil man aus Scheu vor den zu erwartenden Gerichtskosten erst gar nicht versucht hat, das Buch nach Irland einzuführen. (Und auch der tote Joyce selbst wurde nie nach Irland überführtAuf dem Zürichberg hat Joyce seine Ruhestätte neben der von Elias Canetti. Auch seine Frau Nora Barnacle liegt dort auf dem Friedhof Fluntern begraben..) So war der Ulysses ausgerechnet in Irisch-Ithaka lange nur auf dunklen Abwegen zu bekommen. Auch eine Art des Exils.
In Dublin mehrten sich wieder die Zeichen einer Sprachprüderie in Bezug auf das gutzuheißende Vokabular der Kunst, sagt mir ein Bibliothekar in der Nationalbibliothek; diesmal sei dies jedoch eher den Mechanismen des überseeisch verwalteten Netzes geschuldet. Das merke er daran, dass die Klassiker der Moderne seit der Digitalisierung der Texte per scharf gestelltem Wortfilter regelmäßig eine abstrus hohe Altersempfehlung zugeteilt bekämen. Noch könne man das per Hand überschreiben, per Kopf und per Herz, aber wehe uns, wenn der maschinelle Großinquisitor eines Tages die Überhand gewinne! In den Straßen Dublins gibt es erste Zeichen dafür. Ich habe es gesehen: der vokalverschluckende Scrabbler geht um! ♣
___
1 Da die Phantasie – in dem Zusammenhang gerne “dreckig” genannt – ohnehin in die orale Lücke stößt, die man ihr lässt, hier die fehlenden Buchstaben zur Auflösung der vokalen Genitalverstümmelung drei Absätze weiter oben:
a dublinerd’s odyssey, the diaries 29-30 may 2015
- 1. Molly Malone und ich
- 2. Der Scrabbler geht um!
- 3. About to Bloom
- 4. Waiting for Gorgon Zola
- 5. Book Marks, zu Deutsch „Lesenarben“
“Bleiben Sie um Himmels willen vom Grün weg!” – lässt sich auf der grasgrünen Insel wohl gar nicht auf Irisch ausdrücken. Käme ja auch einer Selbstaufforderung zur Auswanderung gleich, oder gar dem Sprung von der Klippe …
Zensiert hat das Buch nur einen zweifelhaften Wert.
Gib mir ein O!
Ohne – oder mit? – Zuckerguss ist der Kuchen reine Dekoration.
Gib mir ein A!
Den meisterlichen Z*ndkerzen fehlt die Initialzündung.
Nur weil der Herr Wiesengrund den Operetten-Namen seiner Mutter angenommen hat, muss man ihn doch nicht gleich zu einem zierenden Verb machen! (Platz für ein finales o ist ja durchaus vorhanden; wer wäre für einen Streich mit Räuberleiter und Klebelettern zu gewinnen? – Oh Mist, die äußerst fokussierten Überwachungskameras sind mir tatsächlich entgangen … ist ja auch ein Juwelier und kein Anbieter für practical jokes.)
Immobiler Leerstand ergibt sich …
… wenn man – LokusPokus – dem stillen Örtchen das gebräuchliche Igitt nimmt, und es damit zwischenzeitlich noch stiller legt.
Gentlemen of Letters – A Dublin Sign Painting Film:Zeichen an der Wand
◼ THE KASSIBER Copyright © 2015 by J. Isaksen. Alle Rechte vorbehalten.