THE KASSIBER by J. Isaksen


Das mit Israel hat sich irgendwie nicht ergeben

Kassibert am von J. Isaksen.  Lesezeit: ungefähr 27 Minuten. Kommentar mailen

Eine Parabel von J. Isaksen

ANTISEMITISMUS-DEBATTE Warum selbst völlig unbeleckte Zeitgenossen eine ausgeprägte Meinung zum Judenstaat entwickeln – und bisweilen den starken Drang verspüren, diese zur Unzeit kundzutun.

jerusalem

Wo, bitteschön, geht’s denn hier zum Garten Eden? Viersprachiger Wegweiser in Jerusalem.

inhalt

Klassenarbeit: Immer raus mit der Sprache!

Hintergründe

1. Klassenarbeit:

Erinnerungsarbeit des Autors mit Kindern und Jugendlichen, sowie Stadtführungen und szenische Lesungen zur jüdischen Geschichte in Deutschland für ein Publikum aller Altersgruppen

2. Gartenarbeit:

Jakob Augstein, Die Tage des Gärtners. Vom Glück, im Freien zu sein. 2012

SPIEGEL-Streitgespräch Was ist Antisemitismus? – SPIEGEL Nr. 3/14.01.13, S. 122-128

Gegen Ende der Veranstaltung herrscht tiefe Betroffenheit. Die deutschen Schüler unterschiedlichster Herkunft schauen betreten drein. Endlich traut sich einer der Jungs den Mund aufzumachen: “Ich habe zwar keine Ahnung von dem Thema … aber auch was Israel so alles macht, finde ich total blöd!” Erst zögerliches Nicken hier und dort, dann ein dreistimmig anschwellender Kanon: “Auf jeden Fall!” – die über jeden Zweifel erhabene Floskel schlechthin.

Das mit dem rigorosen Israel-Statement im unpassenden Zusammenhang fängt früh an. Bei der Gelegenheit ging es nämlich um die in den 40er-Jahren deportierten und ermordeten Schüler eines jüdischen Gymnasiums am deutschen Rhein. Die pädagogische Transferleistung einer Gedenkveranstaltung vor Ort ergebe sich von selbst, dachte ich: “Nie wieder!” Oder auch: “Wehret den Anfängen!” Dabei vielleicht noch ein Blick auf die von Ausgrenzung bedrohten Mitschüler in den heutigen Reihen. Aber dann das: Auf jeden Fall sei Israel auch “total blöd” …

Wir hatten von der menschenverachtenden Vergangenheit gesprochen, hier in Deutschland, vom Verbrechen am kleinen Fritz, seiner Schwester Elsbeth – und dabei waren dem Jonas und vielleicht auch der Esra von heute am Ende nichts anderes eingefallen als der Schurkenstaat Israel.

Oder habe ich da zuviel reingehört? Bin ich es vielleicht, der geschichtsblind ist und einfach nicht sehen will, dass Israel drauf und dran ist, tragischer Erbnehmer der Nazis zu werden?

Es ist Frühjahr 2009 und auf Nachfrage ergibt sich, dass es zum einen die Vorstellung eines systematisch kindermordenden Judenstaates ist, die bei einigen wenigen Schülern eine Gedankenverbindung zu den deportierten jüdischen Kindern von damals hergestellt hat. Heranwachsenden kann man schlecht Vorwürfe machen, wenn sie ungelenk versuchen, die Versatzstücke in Worte zu fassen, die ihnen bei der Bewältigung des Unsäglichen durch den Kopf gehen. Man kann sich aber fragen, wie es zu dieser frühen gedanklichen Assoziation Israels mit den NS-Verbrechen kommen kann, und wie die Denkbrücken verlaufen, die diesen offensichtlich verbreiteten Kurzschluss erzeugen.

Aber wie rettet man erst einmal die Situation?

Ich habe im Laufe der Zeit versucht mich zu wappnen und eine griffige Notfall-Argumentation zu entwickeln, als Erste-Hilfe-Maßnahme gewissermaßen. Aber dennoch bin ich jedes Mal zunächst sprachlos. Ist es auch wenig hilfreich, ein entgleistes Gedenken mit sperrigen und vorgefertigten Klötzen aus dem Baukasten in die stabile Seitenlage zu wuchten. Allzu schnell kann man sich dann selbst nicht mehr hören, klingt wie ein übereifriger Botschafter Israels, der wortreich mit Hülsen auf Hülsen schießt. Dabei hätte man selbst genug Kritikpunkte – im Kleinen, weniger im pauschalisierenden Großen und Ganzen.

Zudem stellt sich die Grundfrage, ob es überhaupt Sinn macht mit jemandem zu diskutieren, der seine kategorische Ablehnung in die Formel packt, er habe zwar keine Ahnung, keine genauere Einsicht, meine aber dennoch felsenfest dies und das. Ist da eine differenzierte Argumentation nicht von vorne herein vergebene Liebesmüh?

Mag sein, aber bei der Jugend, so heißt es, solle man die Hoffnung auf Aufweichung eines resistenten Vorurteils noch nicht aufgeben. Man wagt sich also behutsam vor; fragt in die Runde; bekommt so einiges zu hören; es bleibt nicht bei Israel, das seine historischen Hausaufgaben nicht gemacht habe; schnell ist die Rede von einer mächtigen jüdischen Lobby in Übersee, einem weltweiten Einfluss der Juden auf die Medien, einer Weltkriegsgefahr durch Israels Zündelei, gar einer ständigen Erpressung Deutschlands mit der Holocaust-Trumpfkarte. Klar ist, dass keiner der Schüler an dem Tag den Holocaust leugnet oder auch nur in Frage stellt. Die bittere Erkenntnis der unermesslichen deutschen Schuld scheint endgültig angekommen zu sein. Wo aber haben die Kinder ihr Israel-Bild her? Werden entsprechende Kommentare in den Medien wirklich von dieser Altersgruppe beinahe wortgenau aufgegriffen? (Traut man sich nur im Geheimen zu fragen, und streicht diesen selbst verursachten Kurzschluss bei der Verursachersuche sogleich vom inneren Notizblock. Das wäre allzu einfach.)

Oder ist es nicht vielmehr so, dass auch die Kommentatoren Absolventen dieser nicht mehr ganz neuen deutschen Schule sind? Anscheinend eine gut besuchte Schule – mit manch altehrwürdigen Literaten im Elternvorstand, nebst anderen, die mehr oder weniger offen gegen die strengen Bewährungsauflagen der deutschen Geschichte aufbegehren. (Auch diesen wenig zielführenden Schlag unter die Gürtellinie verbitte ich mir an dieser Stelle; wegen der möglichen Wahrnehmung eines hämischen Verweises auf die verschlungene Geistesgenealogie dieses Landes.)

Ein dritter Gedanke wäre, dass eine Schuldabwehr durch die Tätererben heute nicht mehr über eine Leugnung der unwiderlegbaren geschichtlichen Fakten funktioniert, sondern ganz einfach über eine Blickverschiebung auf ein aktuelles Schuld-Potential der Staat gewordenen Opfernachkommen.

Ich halte also die Luft an, schlucke noch einmal, und versuche es dann zunächst mit dem behutsamen Anbringen von ein paar simplen Fakten. Ob man denn wisse, dass es auf der ganzen Welt weniger Juden gebe als Nordrhein-Westfalen Einwohner habe? (Ja, Israel und New York seien da schon inbegriffen.) Bei der Nachhilfe kommt man sich reichlich unbeholfen und banal vor. Aber es hilft, ein wenig zumindest. In den Gesichtern einiger Schüler scheint sich die Vorstellung von der Allgegenwart der Juden nicht mehr zu spiegeln. Aber es gibt heute auch einen Vertreter, der zunächst die Gültigkeit der angeführten Zahlen bezweifelt, um dann irgendwann anzufügen, das beweise doch noch gar nichts. Nicht vergessen will ich die Mehrzahl der Schüler. Und zwar diejenigen, die mit roten Ohren dasitzen, sichtlich verzweifelt, und sich in Grund und Boden schämen über die Ausreißer. Ich habe dabei den Eindruck, dass es sich bei den wenigen Widerspenstigen um die üblichen Verdächtigen der Klasse handelt: ein paar Jungs, die sich grundsätzlich schwertun, etwas unwidersprochen hinzunehmen.

Als Nächstes fällt mir an dem Tag nur noch der Vorschlag ein, doch einmal eine Klassenfahrt nach Israel zu unternehmen. Bekanntlich bewirkt die Berührung mit einem traumatisch besetzten Objekt manchmal regelrechte Wunder. Und dann bekommt man vielleicht auch den blassen Schimmer, den man nach eigener Aussage ja nicht habe. (Die zwei letzten Sätze denke ich mir lediglich. Sarkasmus mag mir in solchen Situationen als Hausmittelchen helfen, wirkt aber nach außen gar nicht gut.) Ich kann dabei auf Fördermittel verweisen, die für einen Schüleraustausch mit Israel bereitstehen. Schaut man mich jetzt an, als habe ich obskure Verbindungen zu jüdischen Geldquellen offenbart? Und als sei eine Läuterung nach einem Israel-Aufenthalt wohl nur durch im Lande vorgenommene subtile Gehirnwäsche zu erklären?

Die Lehrerschaft winkt geschlossen ab. Man sei im Zuge der Weimar-Fahrt schon in Buchenwald gewesen; mehr zu dem Thema sei in nächster Zeit wirklich nicht drin. Ach ja, fällt mir wieder ein, wir waren vom Gedenken und der Erinnerung hier in Deutschland ja nur übersprüngig auf den Ränke schmiedenden Weltfriedensgefährder Nummer 1 gekommen. Ich sollte strenger mit mir sein, und nicht mit den Kindern.

Der Bus wartet, und man bedankt sich um Worte ringend. Im Hinausgehen legen die Schüler die schwarze Kopfbedeckung ab, die sie während der Gedenkveranstaltung getragen haben, Jungen wie Mädchen. Eine Kippa wird dabei etwas zu ungestüm retourniert – und segelt im hohen Bogen an der Ablage vorbei. Beschämt und erbost will einer der Lehrer eingreifen. Er scheint von dem inneren Vorwurf bedrängt, das gehe alles auf seine Kappe. Ich kann den guten Mann zurückhalten. Der Umgang mit der heiklen Thematik ist viel zu oft ein zögerliches Zielwerfen mit verängstigt vorgebrachten Argumenten. Dabei brauche man sich nicht fürchten, wenn man einmal gehörig daneben liege – auch jenseits des Schulalters. Allerdings solle man dann nachher auch nicht stur auf einem rhetorischen Volltreffer bestehen, der nun wirklich gar keiner ist. Darüber hinaus muss man es aushalten können, wenn der grantige polnische Hausmeister finster dreinschaut und böse schimpft. Wirklich gebissen habe der noch keinen. Zuweilen belle der gute Mann wildfremde Passanten an, nur damit diese ihn dann als “unverschämten Polacken” beschimpften. Wer auf die Tour reinfalle, habe schon verloren.

gedenkenDer unerwartete Zuspruch scheint den Lehrer mutiger zu machen. Sein Unbehagen betreffe gar nicht den inhaltlichen Kern der Aussagen seiner Schützlinge zum global wirksamen – er ringt nach Worten – jüdischen Lobbyismus und der dadurch gestiegenen Atomkriegsgefahr, sondern eher den Klang der Worte, die, wie er es ausdrücken wolle, im Kindermund manchmal doch arg verboten klängen. Fakt sei, dass allein die israelischen Gräuel in Gaza das Bild vom Massaker an den Unschuldigen zu verantworten hätten. Und Fakt sei auch, dass die Machthaber in Jerusalem die ganze Welt am Gängelband eines anschwellenden Kriegsgesangs führten. Und Israel nutze den Holocaust, das dürfe doch mal gesagt werden, zur militärischen Erpressung der Friedensnation Deutschland, sagt der Lehrer noch und steigt in den wartenden Fluchtbus. Dass ich seine Art die Dinge zu formulieren keineswegs für weniger problematisch halte, habe ich dem Lehrer nicht mehr sagen können.

Ein paar der Mädchen fragen, ob sie ihre Kippa behalten können. “Natürlich”, flüstere ich verschwörerisch. (Passt aber auf, dass der Hausmeister euch nicht erwischt und der philosemitischen Anmaßung beschuldigt, konspiriere ich insgeheim weiter.) Nächstes Jahr solle man unbedingt wiederkommen, rufe ich den Nachzüglerinnen noch hinterher. “Auf jeden Fall!” – kommt als freudige Antwort und hallt als tröstliches Echo in meinen roten Ohren nach.

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