Museumseröffnung
Kassibert am von J. Isaksen. Lesezeit: ungefähr 8 Minuten. Kommentar mailen
Von J. Isaksen
SOFT OPENING Ist man des miesen Murrens der Museumsmuffel überdrüssig, so nehme man sich heraus, das überfällige Jüdische Museum vor Ort und gleichsam in Gedanken zu begehen – Ein Baustellenbesuch mit der Kölner U-Bahn
THE NEW BLOOMUSALEM OF THE FUTURE »Clap your hands for Poldy!« oder »Fellowchristians and antiBloomites, lynch him!« Nach: James Joyce, Ulysses, 1922; Verfilmung aus dem Jahr 1967, in Irland wegen unterstellter Blasphemie bis ins Jahr 2000 indiziert.
Inhalt
- 1. Bloomusalem
- 2. Potemkin sei Dank!
- 3. Die Hilflosigkeit der Allmachtsphantasie
»Not all those who wander are lost«— J.R.R. Tolkien
Bloomusalem
Der Anzeigenverkäufer Leopold Bloom ist der natürliche Schutzpatron all derer, die in profaner Mission das Pflaster der Stadt beackern – tagein, tagaus – und dabei gedanklich in ganz andere Sphären abdriften. Im Buche seines Schöpfers, in der ihm verpassten Vorstellung, also doppelt in Gedanken, ist Bloom innerhalb eines Tages alles Erdenkliche: Schriftsteller, Frauenheld, sogar Herrscher von höheren Gnaden, Bürgermeister der Stadt, Gründervater, Bauherr und Direktor eines neuen goldenen Hauses. Das kolossale Gebäude mit gläsernem Dach sieht er nach sich benannt: The New Bloomusalem. Gegen den Bau des Hauses mit 40.000 Räumen gibt es starke Widerstände in seiner Stadt; es nehme ungebührlich viel Platz ein. Und tatsächlich ändert sich so manches im gewohnten Stadtbild; es wird Platz geschaffen für das neue aufwendige Haus; die benachbarte Stadtverwaltung muss zwischenzeitlich weichen und in einen Schuppen am Bahnhof umziehen. Am Ende aber obsiegt Poldy Bloom, man jubelt ihm zwischen altem Rathaus und neuem Bloomusalem zu, zunächst noch …
Es gibt Tage, da will man mehr, als Bloom nur von den Zeilen pflücken – da will man Bloom sein. Dazu lässt man alle Bücher liegen, die mit den Buchstaben, und die mit den Zahlen erst recht. Man flieht vor den hungrigen Giraffen, die sich über dem Pult zu einem herunterbeugen, eine gieriger als die andere. Es sind zwei Bahnen der Tapete bloß, vergilbt und voller Wasserflecken, nicht zu bändigende Bahnen, die an der schwierigen Wand zur Straße hin einfach nicht halten wollen, auch der vollmundig versprochene “Spezialkleister” konnte die Viecher nicht bändigen; heute sind sie von besonders bedrohlicher Schwerkraft.
Was macht man, wenn einem die eigenen kleinen Baustellen über den Kopf wachsen? Man begibt sich auf die Straße und sucht größere Baustellen auf: kolossal Unfertiges, das man in Gedanken in Windeseile zur Vollendung bringt.
Ich steige in die Straßenbahn Nummer 5, Richtung Rathaus. Ab Hauptbahnhof bleibe ich alleine in der Bahn zurück. Die Sonderfahrt für mich – so fühlt es sich nunmehr an – gleitet im Schritttempo weiter, biegt anders ab als gewohnt. Die neue unterirdische Trasse führt an der Schatzkammer des Doms vorbei zur zwischenzeitlichen Endstation am Rathaus. Die Röhre erstrahlt unbenutzt, das Schienenbett scheint wie für etwas Höheres gemacht, das gedrosselte Tempo Teil einer inszenierten Hinführung.
Wir müssen unsere Wege, unsere buchstäblichen und übertragenen Zugänge zu dem Ort umlegen. Da der bisher wahrgenommene Rathausvorplatz als Brache ausgedient hat, müssen wir uns von der anderen Seite nähern – “vor dem Rathaus” ist dann auf der anderen Seite; hier entlässt mich die Bahn in eine nagelneue Station, die Rolltreppe endet direkt vor dem Eingang des kommenden großen Hauses. Ich habe lange nicht verstanden, was ein Haus ohne ebenerdigen Eingang sollte, jetzt aber – durch die andere Annäherung – geht es mir auf. Denn wenn das Jüdische Museum oben seinen Eingang hätte, dann würde der ganze wertvolle Raum um Mikwe, Synagoge und jüdischem Viertel durch notwendigen Funktionsplatz für Lobby, Kassen, Garderobe, Sicherheitsschleuse und womöglich Gastronomie und Museumsshop verschenkt, so hingegen bleibt aller Platz erhalten, und die buchstäbliche Hinführung durch die Katakomben erscheint mir als eine grandiose ausstellungstechnische Chance. Dass einiges an Parcour zu bewältigen ist, bevor man im jüdischen Teil der Stadtgeschichte ankommt, spricht für die Größe des Hauses. Und im weitläufigen Museumsfoyer am Alter Markt, mit Café und Buchshop, sitze ich jetzt schon in Gedanken jeden DonnerstagWarum immer donnerstags? Thursday is my personal weekly Bloomsday; the 16th of June 1904—his sole day— was a Thursday. und schreibe. Ohne einen Latte, einen Kuchen und ein Hinsetzen und Reden ist ein Museum nichts. Meinen bisher besten Schokoladenkuchen habe ich übrigens im Diaspora-Museum zu Tel Aviv goutiert.
POTEMKIN SEI DANK! ODER PROJEKTATTRAPPE ALS ALLGEMEINES ÄRGERNIS? Im Sonnenschein erscheint das Jüdische Museum dem wohlgesonnenen Betrachter überaus denkbar – den Gegnern hingegen ist es unvorstellbarer denn je. Oder bin ich es, der am Ende einer Illusion erliegt, und das Ganze ist nur Kulissenschieberei einer überforderten Intendanz mit vollkommen unklarer Intention? fotos: J. Isaksen
Potemkin sei Dank!
Auf der Baustelle überrascht mich die Fassaden-Attrappe. Ich wußte, dass sie steht; im Moment der Inaugenscheinnahme weiß ich, dass sie funktioniert. In Gedanken sehe ich das Haus bereits fertiggestellt. Erst ein paar ältere Damen und Herren holen mich wieder in die Realität zurück. Wir schauen auf die selbe einsame Bahn von Fassade, wie eine Eins stehend und ohne wippenden Giraffenkopf, und sehen doch etwas ganz anderes. Ich sehe meine Überzeugung von einem notwendigen Haus bestätigt, im Gold Jerusalems erstrahlend; die Museumsmuffel am Platze sehen hingegen ihre Ablehnung ins Bild gesetzt, sprechen von “sumpfigem Grün” der Fensterblenden. Es gibt einen Moment der kompletten Entfremdung, und ich bin mir nicht mehr sicher, ob nicht vielleicht die Fassadenbahn doch einen Kopf hat – keinen gierig Platz begehrenden, sondern einen aufrechten – und die murrenden Muffel verknöcherte Attrappen ihrer selbst sind. Zu allem Überfluss wird darauf beharrt, dass man keineswegs gegen ein Jüdisches Museum sei, nur müsse es im Verborgenen bleiben. Einer der Herrschaften erinnert mich entfernt an Walter Ulbricht und seine am Vorabend zum Bloomsday ’61 vorgetragene Verdrehung, niemand habe vor, eine Mauer zu errichten. In die Kölner Gegenwart passt die Abwandlung “Niemand hat die Absicht, gegen das Jüdische Museum zu sein!” – selbst die dezidierten Gegner behaupten das mit ausdauernder Unverschämtheit. Meinem Ansinnen, eine Aufnahme der Murrenden vor der Fassaden-Attrappe zu machen, zur Dokumentation der überaus surrealen Szene, wird nicht stattgegeben; so erscheinen die Gestalten nur schemenhaft und von hinten auf meinen Aufnahmen. Unterdessen wird immer wieder von “Potemkinschen Dörfern” geredet, von “Kulissenschieberei”, und dass das ganze Museumsprojekt eine einzige Attrappe sei. Meine Entgegnung darauf ist vielleicht etwas zu artistisch: Simulation komme bisweilen wirklicher als die Wirklichkeit daher, und der als Kulissenschieber verschrieene Graf Potemkin sei doch gewissermaßen würdiger Stammvater der Nachmoderne. Daraufhin entfernen die Damen und Herren sich weiter, jetzt auch in Metern messbar.
Die Hilflosigkeit der Allmachtsphantasie
So zuversichtlich ich auf der Baustelle war, so hilflos fühle ich mich auf dem Rückweg. Die Begegnung mit den marodierenden Museumsgegnern hat mich verunsichert. Als ich wieder in der Bahn sitze – ich will trotz Sonnenschein auch die Abfahrt inszenieren – gesellt sich die altbekannte Allmachtsphantasie des Erstgeborenen zu mir. Sie flüstert mir zu, ich müsse das Haus bauen – sonst baue es keiner. Auf meine stille Entgegnung, dass ich ja bereits an zwei störrischen Bahnen Tapete scheitere, heißt es, in Worten solle ich bauen, nicht in Taten. In Worten und nicht in Taten? So wie James Joyce den Leopold Virág Bloom erfand, und er diesen dann in Gedanken das Bloomusalem errichten ließ? Ja, wenn das so einfach wie tapezieren wäre …
Wissen Sie, wie es ist, wenn der selbst erzeugte Erwartungsdruck auf den Erwartenden überspringt? Selber schuld, flüstert mir der Teufel. Ich hätte mit der fabelhaften Legende vom Vater Rhein als Mutter Israels Erwartungen geweckt, die kein Haus in dieser kleinen Stadt jemals erfüllen könne. Was ich mir dabei gedacht hätte, eine in der Perversion glorreich-grausame Historie heraufzubeschwören? Nur Text könne halten, was er in sich verspreche; Häuser hingegen, die man aus Text ableite, seien immer Kartenhäuser. Ich bin froh, dass ich und meine Hilflosigkeit, der Teufel und die Allmacht alleine im U-Bahntunnel unter dem Dom sind; dabei soll einem keiner zuhören. Wenn es mir nur gelänge, nicht immer auf das Haus hin zu denken! Das Haus ist kein befriedender Schlussstein; es bringt keine Erlösung, kein Ende der Geschichte. Die Angelegenheit ist schwierig und bleibt schwierig. Die Historie lässt sich nicht endgültig einweisen hinter die institutionalisierten Mauern der Geschichte; sie bleibt eine offene Wunde, die schwärt, wo und wann sie will, unheilbar und allgegenwärtig: weiter im Text, auf dem Pflaster der Stadt und im angefochtenen, noch zu errichtenden Haus – einem Haus, an dem ich in Gedanken kräftig weiter baue, ohne aber unterdessen den Atem oder die Geschichte anhalten zu müssen.
Ausgerechnet an der Gutenbergstraße kommt die Linie 5 wieder ans Licht. Ich fahre bis zur Endstation am anderen Ende; bei IKEA am Butzweiler Hof gibt es doch auch Tapeten, oder?
◼ THE KASSIBER Copyright © 2013 by J. Isaksen. Alle Rechte vorbehalten.
▼ Epilog Throw the Kassiber away, when you’re finished!
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