THE KASSIBER by J. Isaksen


Vage Wegbeschreibung mit Blick auf Troja

Kassibert am von J. Isaksen.  Lesezeit: ungefähr 3 Minuten. Kommentar mailen

Von J. Isaksen, am Berge Ida

Die bezeichnende menschliche Verfassung unserer Tage sei die eines Nomaden, Flaneurs und Vagabunden, heißt es, oder die eines unsteten Spielers oder schnöden Touristen gar. Demnach seien wir als ewige Wanderer nirgends wirklich zu Hause – und könnten doch überall problemlos unsere Zelte aufschlagen. Ist es wirklich so einfach? Bei unverstelltem Weitblick auf die Ruinen am Hellespont wird Isaksen die unzweideutige Benennung seiner Herkunft abverlangt. Wer wagt es, den verschlungenen Wegen dieser behänden Gipfelstürmerei ein Stück weit zu folgen?

Just dort, wo der junge Paris der Sage nach Schafe hütete und zwischen den trickreich werbenden Vertreterinnen von Herrschaft, Weisheit und Liebe zu wählen hatte, kommt ein Olivenbauer des Weges und verlangt, obwohl ansonsten deutlich weniger betörend als die drei aufreizenden Göttinnen, ein ähnlich schwieriges, weil eindeutiges Bekenntnis: “Wo kommst Du her?” – Es mag Zeiten gegeben haben, da war das die erste und einfachste Frage von allen, eine simple Antwort gebährend: “Von dort unten!” Ja, wie wäre es mit dieser zeitlos kecken Wendung, die auch wortlos mit einem einfachen Fingerzeit zu vermitteln ist? Nein, mir liegt der unvermittelt zugeworfene güldene Apfel schwer vor der Brust, und ich zögere mit einer Antwort. Den tickenden Zankapfel der Ansippung gilt es zu veräußern und der schönsten aller Heimaten zu widmen! Nun gut, aber wer soll es denn sein, dem ich hier und jetzt die eitle Ehre meiner Herkunft zukommen lasse?

Schnellen Schrittes unterwegs, hatte ich mich gegen das bedrohliche Schnauben von aufgescheuchtem Schwarzwild im Unterholz gewappnet; diese Prüfung mit der unverhohlenen Frage nach den Windungen des zurückgelegten Weges erwischt mich jedoch vollkommen auf dem falschen Fuß. War ich nicht angetreten diesen sagenumwobenen Gipfel zu stürmen, gerade um der beengenden Festlegung im schattigen Talgrund zu entkommen? “Auf, auf und davon!”, hieß ich mir eben noch, jetzt ist mein raumgreifender Drang, der mich aus den besiedelten Niederungen getrieben hatte, erst einmal anhaltend ins Stocken geraten.

ANYWHERE GOES? An den waldigen Hängen der idäischen Ausläufer lässt es sich laufen – und ließe sich aufs Trefflichste weltvergessen leben … wenn, ja wenn die wohlfeile These des grenzenlosen “Überall & Nirgends” hier nicht einer schweren Bergprüfung unterzogen würde. – Wird der rastlose Turbowanderer sich gleich Paris der Probe stellen? Oder kratzt er gekonnt die Kurve und entkommt keuchend der ach so herkömmlichen Frage nach dem Herkommen?

Der bauer steht mir weiter im Weg und wartet geduldig auf eine Antwort. Die genügsamen Oliven gedeihen von alleine, und bis zur Ernte ist es noch etwas hin. Zudem vermutet er wohl, die ausbleibende Antwort habe damit zu tun, dass ich nach wilder Hatz bergan erst einmal ordentlich nach Luft zu ringen habe. Ha! – ungefragt hätte ich noch locker Puste für tausendundeinen Höhenmeter; es sind allein der abrupte Halt und der Hieb seiner Frage, die mir den Atem verschlagen haben.

Ich komme hier nicht weg, wenn ich nicht endlich damit herausrücke, wo ich hingehöre! Ich könnte wie Paris springen, gleichsam zur rhetorischen Prinzenrolle ansetzen und zwischen “eigentlich”, “zwischenzeitlich”, “jetzt” und vielleicht “demnächst” unterscheiden, aber für einen rustikalen bukolischen Dialog reicht mein mageres Küchen-Türkisch nicht. Auch reitet mich das Vorurteil, dass ich vor einem einfachen Mann stehe, dem ich eine einfache Antwort schuldig bin. Und so quetsche ich ein kaum vernehmbares “Norveç” [nor’wätsch] aus mir heraus, gerade noch rechtzeitig um zu verhindern, dass mein nachhaltiges Zögern mit Befremden aufgenommen wird. Es ist nicht viel mehr als ein leidlich artikuliertes Ausatmen, was ich da zustande bringe, aber der Mann weiss etwas damit anzufangen und nimmt die klare Positionierung dankbar auf: Oh, Norwegen, das ist doch eine Ansage! – scheint mir jede freundliche Falte seines Gesichts zu sagen.

IDYLL AM BERGE IDA Von links: Zu hütende Nachhut, blökend und nicht ganz im Bilde; Hirte hehrer Herkunft, Heimat hart hinten links; getreue Gespielin nebst Gams, beide örtlich verwurzelt – tollen sorglos in arkadisch anmutenden Gefilden umher.

THE KASSIBER Copyright © 2011 by J. Isaksen. Alle Rechte vorbehalten.