Die Zärtlichkeit des Spotts
Kassibert am von J. Isaksen. Lesezeit: ungefähr 3 Minuten. Kommentar mailen
Von J. Isaksen
écrasez l’infâme? Wenn Glaube auf Verhöhnung trifft, dann kommt es nicht selten zu einem denkbar harten Momentum der Entfremdung. Vide Lutetia. Aber muss das so sein? Heute war mir, als ließe sich am Altar des guten Judas auch ohne Häme spotten. (Besagen tut dies rein gar nichts; bin ich doch Spötter und nicht Verspotteter.)
»Die Wirkung setzt sehr schnell ein, oft schon am dritten Tag, manchmal sogar ein paar Stunden nach dem ersten Beten! Bitte die Novene aber immer fertig beten, egal wie schnell die Hilfe erteilt wurde!«
Ausliegende Anleitung für die ausdauernde Anbetung des Judas Thaddäus, dem großen Helfer bei aussichtslosen Anliegen
Gestern abend, unweit des städtischen Archivkraters, verschlug es mich in die Drachentöter-Kirche – allerdings nicht durchs Hauptportal der Gläubigen; das Haus hat viele dunkle Seiteneingänge. Einer alten Gewohnheit nachgehend, nahm ich mich der Dankestafeln am Judas-Thaddäus-Altar an. Vor vielen Jahren, zu Zeiten eines ausgeprägten artistischen Interventionismus, habe ich in den Ardennen selbst eine Tafel gespendet, aus feinstem Jerusalem-Stein: Hey Jude, merci pour tout! J., P., G. + R.
… und ein Jahr später | Im Stile einer Diva, im geteilten Berlin | Das Original | Gänzlich ohne Begleitung | Noch ein Solo
In der freien Übertragung könnte mein bombenfest verdübelter Dank lauten: »Mensch Judas, danke für alles! Gezeichnet, die nämlichen Vier«. Das kann man als Dank aus vollem, unverfälschtem Herz lesen, oder auch, bei unterstelltem Hintersinn, als Verspottung der umliegenden unbedarften Täfelchen. Ich habe das damals jedenfalls vollkommen ernst gemeint … und auch wieder nicht; diese himmelschreiende Uneindeutigkeit lässt sich nicht auflösen, ohne dass der zarte Kern meines wunschlosen Anliegens in Auflösung geht.
Gestern dann fielen mir folgende Tafeln besonders ins Auge:
Der erfolgreiche Prüfling Schmidt hat sich und den Judas Thaddäus ganz schön in Zugzwang gebracht. Nach dem zweiten Diplom war dann aber Schluss. Wobei sich die brennende Frage stellt, wer von beiden Schluss gemacht hat: der mit der stockenden Karriere – oder der mit der goldenen Regel, dass der Mensch sich beim dritten Male bitteschön selber helfen müsse.
Bei der Familie Varughese – indischer Herkunft und nicht etwa neapolitanischer – hat das pastorale Lektorat vollkommen versagt. Die Ansprache ist formell verunglückt, der Angesprochene sieht sich unmutwillig zum Juden gemacht – der er ja eigentlich auch ist, nicht nur dem Namen nach, aber hier wohl gar nicht sein soll – und obendrein wurde sein zweiter Name komplett entstellt: »Vielen Dank für Ihre große Hilfe Heiliger Jude Theadeus« – ? … aber da es nun mal in Stein gemeißelt ist, lassen wir es so stehen. Nur ward der Heilige per schnödem Korrekturstift geflissentlich entjudet.
Saisonal erneuerter Dank, in der international gebräuchlichen Anrede: Zunächst für ’08-’09 ausgegeben, dann per Edding erneuert: 2012-2013 – man bemerke die so gar nicht deutsch gezogene, kopflose Ziffer Eins – und mangels Platz oben auf der Kante aktualisiert auf 2014-2015. Wer dankt da in Doppeljahren? Ein Kicker in Diensten des FC? Ein Mime oder Musikant für eine erfolgreich absolvierte Spielzeit? (2010-2011 war jedenfalls nicht so gut. Oder man hat zwei dunkle Jahre lang einfach vergessen sich zu bedanken.)
1.) Dank für die Erhörung eines deutschen Stoßgebets nach 1945: Wohin mit uns Verbrechern? – oder – 2.) Dank für die Erhörung folgender dreisten Bitte aus dem Jahr 2013: “Querido Judas Tadeo, mach den deutsch-professoralen Altinquisitor auf dem Stuhle Petri nicht tot, nein, aber vielleicht wäre erstmals seit Menschengedenken ein Rücktritt möglich? Dann wären wir endlich nicht mehr Papst! Und als Neuen wünschen wir uns einen weniger verknöcherten, offenen Mann, der einfach alles anders macht. Schwierig? Mensch Judas, Du weißt doch am besten, wo man so einen herbekommt”. – oder – 3.) Bloß nicht Italien! Deutschlands Wunschgegner für das WM-Finale 2014 wurde wahr. Siehe auch: Gaucho-Gate.
P.S. An die Bedenkenträger des Glaubens- und Datenschutzes: Wer seinen Dank öffentlich aushängt, will wahrgenommen werden – oder etwa nicht? (Der direkte Kanal des inneren Dankgebets verbliebe hingegen ungleich intimer.)
HELPER AND KEEPER OF THE HOPELESS, PATRON OF DESPERATE CASES AND LOST CAUSES Die Pfingstflamme der Erleuchtung zu Kopfe gestiegen: der Heilige Judas Tadeo fährt Taxi in Mexico City.Weiterführender Lesetipp
Das geht auf keine Kuhhaut: sieben großflächige Saint-Jude-Tattoos.
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